#Bodenzerstörung


Aralsee

Die Katastrophe des Aralsees

Auszug aus meinem Buch "Des Menschen Erde"

Das vielleicht krasseste Beispiel für Bodenversalzung in der Welt und ein ebensolches für einen wirtschaftspolitischen Größenwahn, der sich nicht um die Folgen seines Agierens schert, ist dasjenige des Aralsees, gelegen in den zentralasiatischen Staaten Kasachstan und Usbekistan, dereinst Sowjetunion. Das Gewässer, abflusslos und gespeist durch zwei Flüsse, war einst der viertgrößte Binnensee der Erde, nur übertroffen vom Kaspischen Meer, vom Lake Superior in Nordamerika und vom Victoriasee in Afrika. Obwohl er in einer wüstenähnlichen Region liegt, bot er den Menschen früher durch die fruchtbaren Böden an seinen Ufern und durch seinen Fischreichtum eine ordentliche Lebensgrundlage.

 

Die ökologische Katastrophe begann, als man auf Betreiben der sowjetischen Regierung unter Nikita Chruschtschow in den 1950er und 1960er Jahren und bereits vorher in der Stalin-Ära die beiden Zulaufflüsse des Aralsees, den Syrdarja und den Amudarja – die beiden größten Ströme Zentralasiens – anzapfte, um mit ihren Wassern riesige Flächen zu kultivieren. Das Projekt war Teil eines Programms, welches vorsah, im ganzen Land vierzig Millionen Hektar Grenzertragsflächen in nutzbares Ackerland zu verwandeln. Mithilfe des abgezweigten Wassers sollten riesige Baumwoll-Monokulturen in Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan künstlich bewässert werden.

 

Ein gewaltiges Bewässerungskanalnetz von vielen tausenden Kilometern Länge entstand, darunter der 1.445 Kilometer lange Karakum-Kanal, der vom Amudarja ganz im Osten Turkmenistans durch den gesamten Süden des Landes bis fast zur Küste des Kaspischen Meeres im Westen führt. Der Kanal entzieht dem Fluss jedes Jahr über zwölf Kubikkilometer Wasser und bewässert unzählige Baumwollplantagen entlang seiner Ufer. Allerdings versickert die Hälfte des abgeführten Wassers entweder im unbefestigten Bett des Kanals oder verdunstet in der namens-gebenden Karakum-Wüste, durch die er fließt.

 

Der andere Aralsee-Zufluss, der über 2.200 Kilometer lange Syrdarja, wird dagegen mehrmals aufgestaut. Die beiden größten Stauseen, die dabei entstanden sind, der Kairrakum- und der Schardara-Stausee, bedecken jeweils eine Fläche von mehr als fünfhundert Quadratkilometern und sind damit jeder für sich genommen größer als der Bodensee. Die hohen Verdunstungsraten auf den Stauseen reduzieren die Menge des Wassers in den Flüssen erheblich, sodass es für die Bewässerung nicht mehr zur Verfügung steht. Gleichwohl stellt die Baumwolle bis heute für die Staaten Usbekistan und Turkmenistan das wichtigste landwirtschaftliche Exportgut dar. Das relativ kleine Usbekistan ist mit einer Anbaufläche von 1,3 Millionen Hektar und einer Produktionsmenge von einer Million Tonnen jährlich immerhin der sechstgrößte Exporteur weltweit. Der weitgehend unter staatlicher Kontrolle stehende Baumwollanbau ist für das Land so wichtig, dass die Pflanze allgegenwärtig ist und sogar im Staatswappen Verwendung findet. Von internationaler Seite gibt es an dieser Form der intensiven Landwirtschaft aber erhebliche Kritik, nicht nur wegen des Vorwurfs der Kinderarbeit und dem massiven Einsatz von Pestiziden, sondern auch wegen des enormen Wasserverbrauchs: Für die Herstellung eines einzigen T-Shirts werden bis zu zweitausend Liter benötigt.

 

Die Auswirkungen dieser Bewässerung machten sich schon bald bemerkbar. Es zeigte sich nämlich, was es bedeutet, wenn zwei Drittel des Wassers der beiden Aralsee-Zuflüsse für den Baumwollanbau abgeleitet werden. Der von Süden aus Turk-menistan und Usbekistan kommende Amudarja (beziehungsweise das, was von ihm noch übrig blieb) verdunstet heute in der Wüste; seit den 1990er Jahren erreicht er den Aralsee nicht mehr, sein ehemaliges Mündungsdelta ist verschwunden. Für den von Osten aus Tadschikistan kommenden und hauptsächlich durch Kasachstan fließenden Syrdarja galt in den 1980er Jahren dasselbe; heute erreichen im Jahresschnitt noch etwa zehn Prozent seines Wassers den See.

 

Es geschah das Unvermeidliche: Der verringerte Zulauf konnte bald die Verdunstung des Wassers nicht mehr ausgleichen und der Aralsee begann zu verlanden. Sein Wasserspiegel fiel in den Jahren 1960 bis 1997 um ganze achtzehn (!) Meter; er verlor etwa neunzig Prozent seines Volumens; sein Salzgehalt vervierfachte sich. Die Wasserfläche des Aralsees schrumpfte von 68.000 Quadrat-kilometern im Jahr 1960 (etwa so groß wie Bayern) auf weniger als 14.000 Quadratkilometer im Jahr 2010 (kleiner als der Regierungsbezirk Oberbayern). 1988 zerfiel er zunächst in zwei Teile: in den größeren Südlichen Aralsee und den kleineren Nördlichen Aralsee. Die umliegenden, ehemals fruchtbaren Gebiete sind durch Erosion, Versalzung und Pestizid-Vergiftung heute für die landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr geeignet.

 

Die Erhöhung des Salzgehalts des Sees führte zu einem Fischsterben; der ehemalige Seegrund ist aufgrund des Salzgehalts ohnehin tot. Landwirtschaft und Fischerei sind um den See herum praktisch komplett zusammen gebrochen. Ehemalige Hafen- und Badeorte liegen heute mitten im Niemandsland, mehr als hundert Kilometer vom aktuellen Seeufer entfernt und umgeben von einer schadstoff- und pestizidbelasteten Staub- und Salzwüste. Rostige Schiffswracks trotzen dem Wind und dem Gestank, dort, wo weit und breit kein Wasser mehr zu sehen ist. Die Menschen leiden nicht nur an den wirtschaftlichen Folgen, sondern auch unter den Folgen der Staub- und Luftverschmutzung; die Säuglings- und Kindersterblichkeit ist vergleichbar hoch wie in den ärmsten afrikanischen Staaten; schwere Krankheiten sind häufig, selbst Fälle von Pest und Cholera wurden schon registriert. Das Ausmaß der Folgen der Aralsee-Austrocknung auf Umwelt und Gesundheit wird bereits mit denjenigen der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 verglichen, nur mit dem Unterschied, dass letztere in der Weltöffentlichkeit eine wesentlich größere Aufmerksamkeit erfuhr.

 

Immerhin versuchte die kasachische Regierung ab Ende der 1990er Jahre durch den Bau eines dreizehn Kilometer langen und zehn Meter hohen Dammes wenigstens den kleineren, vom Syrdarja gespeisten und auf ihrem Territorium liegenden Nördlichen Aralsee zu retten. Der Damm, den die Weltbank mitfinanzierte, wurde im Jahr 2005 fertig; bis zum Jahr 2010 konnte durch ihn der Wasserspiegel stabilisiert werden und selbst die Fischbestände erfuhren eine gewisse Erholung. Allerdings ging diese Rettungs-aktion zu Lasten des anderen Seeteiles auf der usbekischen Seite. Er erhält nun noch weniger Wasser und ist wohl endgültig dem Untergang geweiht: Wie die internationale Presse berichtete, trocknete im Sommer 2014 das große östliche Becken des Südlichen Aralsees erstmals seit dem Mittelalter komplett aus, nur im Westen blieb ein schmaler Streifen übrig, den man nun Westlichen Aralsee nennt.

 

Die Tragödie des Aralsees gilt heute als die vielleicht größte einzelne jemals vom Menschen verursachte Umweltkatastrophe. Weite Teile eines ehemals fruchtbaren Gebietes wurden vernichtet, für die Landwirtschaft unbrauchbar gemacht, seine Ökosysteme zerstört. Ein kurzsichtiges, von politischen und wirtschaftlichen Interessen motiviertes Mammutprojekt, welches eine Ausdehnung der land-wirtschaftlichen Nutzfläche zum Ziel hatte, hat schließlich genau das Gegenteil von dem bewirkt, was beabsichtigt war; es ist ein Schaden entstanden, der größer kaum sein könnte. Die Geschichte des Aralsees ist die Geschichte eines wahren Paradoxons, das aber tatsächlich ein wahres Drama ist...

[Auszug aus: Oliver M. Herchen: Des Menschen Erde (2017), S. 221 bis 224, Quellenangaben zu den Sachverhalten dort]

OH Jan/2024

Aralsee, Schiffswracks

(gemeinfrei, Beschnitt.: OH)


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